Kongressjournal

Ausgabe
2019 November / Graz

 

Im Interview: Prof. Dr. Helmut Milz Kommunikation zwischen Vertrauen und Eigen-Sinn

Einfühlsames Gespür für die besondere Persönlichkeit der Patienten und Kenntnis ihrer Lebensumstände sind unverzichtbare Qualitäten hausärztlicher Arbeit. Wie können diese unter dem zunehmenden Primat von Ökonomie, Bürokratie und Digitalisierung bewahrt werden? Prof. Dr. Helmut Milz, FA für psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Allgemeinmedizin und Autor, kam im Zuge seiner Recherchen zu seinem Buch „Der eigen-sinnige Mensch“ zu einer neuen Einsicht. Im Gespräch mit dem Kongressjournal schildert der Autor die Eigenheiten der zwischenmenschlichen Kommunikation. Jede Begegnung ist in gewisser Weise einmal ein Missverständnis!

Wodurch zeichnet sich eine gute Kommunikation zwischen Arzt und Patienten aus?

Vertrauen ist der Ausgangspunkt einer guten Arzt-Patienten-Beziehung. Vertrauen ist aber keine einseitige, sondern eine wechselseitige Angelegenheit. Denn dabei geht es nicht nur darum, dass der Patient Vertrauen in den Arzt hat, sondern auch umgekehrt. Wenn der Arzt nicht davon ausgeht, dass es sich nur um das Problem des Gegenübers handelt, muss er sich überlegen, wie es gelingen kann, dass es zu einem möglichst günstigen Heilungsverlauf kommt. Dazu gehört das Vertrauen in den Patienten, dass er auch etwas zum besseren Heilungsverlauf beitragen kann.

Wie entwickelt sich Vertrauen?

Dazu ein Beispiel, das aufzeigt, wie Vertrauen untergraben oder gestärkt werden kann: Viele Menschen „googeln“ Gesundheitsinformationen, besprechen das aber nicht mit ihrem Hausarzt, sondern „checken“ diese dann quasi ab. Hier könnte das Vertrauensverhältnis durch eine anerkennende statt einer ablehnenden ablehnenden Reaktion gestärkt werden. Denn signalisiert der Arzt, dass es gut ist, wenn sich der Patient bemüht, sich zu informieren, und versucht darum das „Dr.-Google-Wissen“ mit seinem Wissen zu kombinieren, wird der Selbstwert des Patienten dann nicht gemindert. Ich glaube da müssen Ärzte dazulernen, mit dieser nicht autorisierten, aber omnipräsenten „second opinion“ umzugehen. Ein Problem ist auch, dass Patienten im Schmerz oft etwas anderes hören, als der Arzt gesagt hat. Bedeutung in der Kommunikation ist immer eine Sache des Empfängers. Wenn ein Patient etwas nicht versteht, googelt er es möglicherweise im Nachhinein und plötzlich tut sich eine ganze Welt von Katastrophen auf. Das sind neue Dimensionen der Kommunikation, die in das ärztliche Kommunikations- und Vertrauensverhältnis mit aufgenommen werden müssen.

Wie viel Empathie ist für ein Vertrauensverhältnis erforderlich?

Einfühlungsvermögen braucht immer eine gewisse Distanz, weil man sich sonst leicht „emotional anstecken“ kann. Professionelle Empathie heißt, Einfühlungsvermögen zu entwickeln, indem der andere auf subtile Art verstanden wird. Indem der Arzt mehrdimensional die Atmosphäre spürt und aufnimmt, was der andere sagt oder eben nicht sagt. Wenn der Arzt dem Menschen das Gefühl gibt, als Individuum und nicht als ein weiteres Problem behandelt zu werden. Als Medizinstudent lernt man abhören, aber nicht zuhören. Das ist die ärztliche Kunst, die man erst im Laufe des Lebens lernt – wenn zum Wissen langsam auch Können hinzukommt.

Vertrauen und Zeitdruck, wie lassen sich diese vereinbaren?

Das ist schwierig. Für den Arzt stellt sich die Frage, wie er der täglichen großen Patientenzahl gerecht wird, das ist eine große Herausforderung. Subtile Botschaften werden zwar auch unter Stress wahrgenommen, aber weggesteckt. Ich glaube, hier liegt ein großer Teil der Frustration bei Ärzten. Sie spüren, dass sie mit zu wenig Zeit und unzureichender Information wichtige Entscheidungen fällen müssen. Leider hat das System immer fälschlicherweise da gespart, wo es sich nicht gleich in Leistungen umsetzen lässt. Wenn man dem Gespräch mehr Zeit einräumen würde, würde das auf die Dauer Geld sparen – das ist das Paradoxe beim Einsparen von Gesprächszeit. In diesem Punkt sind die Ärzte aber zu brav. Sie betonen diesen notwendigen Zeitfaktor nicht genügend.

Was hat Sie dazu bewogen, das Buch „Der eigen-sinnige Mensch“ zu schreiben?

Ich habe mich vehement mit Wahrnehmungsprozessen beschäftigt und bin von der Allgemeinmedizin in die Psychosomatik gewechselt, weil ich mehr Zeit für die Menschen haben wollte. Das Buch bezieht sich auf die Geschichte der Sinne. Denn es gibt zwar viele Informationen über Biologie, Physiologie und Pathologie, aber über das Gesamtensemble und das synergetische Zusammenspiel der Sinne nicht. Die Sinne spielen aber eine immense Rolle in unserer ganzen Orientierung und in unserem Handlungsvermögen. Mit dem provokativen Begriff Eigen- Sinn will ich verdeutlichen, dass wir verstehen müssen, dass jeder Mensch die Welt mit seinen eigenen Augen und seinen eigenen Ohren wahrnimmt. Das heißt, jede erste Begegnung ist zuerst einmal ein gewisses Missverständnis! Die Kunst besteht auch darin, das zu erkennen und zu korrigieren. Wer rasch diese individuelle Eigen-Sinnigkeit versteht, weiß, dass es nicht nur die angenommene Eindeutigkeit gibt, die in der Medizin vorherrscht, sondern immer die „Mein-Deutigkeit“. Wenn wir dieses Missverständnis auf Seiten der Patienten nicht bedenken, machen wir zwar klare medizinische Aussagen – das heißt aber nicht, dass das Gegenüber dies in seine eigene Sprache übersetzen kann. Das Eigen-Sinnige ist eine Herausforderung – nicht im Sinne des Trotzigen, Starrköpfigen –, sondern im Sinne des Respekts für den anderen, also für jeden Menschen, der die Welt nur auf seine eigene Weise wahrnehmen kann. Ich selbst habe beim Schreiben dieses Buches eine Menge dazugelernt.

Was war dabei Ihr Lerneffekt?

Ich habe festgestellt, dass ich mit einer ähnlichen Arroganz wie die meisten modernen Mediziner die Geschichte der Medizin ausgeblendet habe und immer dachte, „das Neueste ist das Beste“ – das heißt, die neuesten Forschungsergebnisse oder Leitlinien sind der Wahrheit letzter Schluss. Diese Denkweise habe ich hinter mir gelassen und das ist wichtig. Das Verständnis und das Wissen darüber, wie sich der Mensch zusammensetzt, haben sich im Laufe der Jahrtausende verändert. Früher waren es „Säfte und Flüssigkeiten“, heute sind es einzelne Organe, Strukturen und Zellen. Man muss auch in der Heilkunde wissen, wo man herkommt. Das schafft Vertrauen. Es geht in der Arzt-Patienten- Beziehung nicht nur um den Austausch von Informationen, denn da werden wir gegenüber der Künstlichen Intelligenz (KI) immer verlieren. KI kann Daten besser speichern. Aber Menschen spüren die Atmosphäre, unterscheiden den Klang der Stimme oder hören, was eben nicht gesagt wird. KI ist dafür nicht programmiert. Algorithmen sind immer eindeutig – aber das menschliche Wesen ist immer mein-deutig.