Frauenheilkunde
aktuell

Ausgabe
2019-01

 

Die Welt mit feineren Sinnen wahrnehmen. Wie entsteht ein inneres Bild aus Sinneseindrücken? Kommunizieren unsere Sinne miteinander? Welche Signale empfangen und senden unsere Sinne? Der Arzt und Psychotherapeut Helmut Milz beschreibt in seinem Buch nicht nur die 5 klassischen Sinne, sondern die „Sinne“ für das körperliche Empfinden, Bauchgefühl (Intuition) oder Schmerzsinn. Er zeigt wie zentral leibliches Erleben für die unbewusste Wahl von sprachlichen Metaphern ist. H. Milz stellt die „eigen-sinnige“ Tendenz eines jedes Organismus zu Selbsterhaltung, Selbstorganisation und Selbstheilung dar. Ein ärztliches Verständnis für diese Kräfte weist einen Weg zur Kooperation mit der Natur und zu verbesserten Heilungschancen.

Der Autor schlägt einen ungewohnten Bogen von der frühen Heilkunde bis zu Einflüssen der Sinne auf Diagnostik und Therapie der Zukunft. Dabei zeigt sich, dass fortschreitende Erkenntnis nicht unbedingt zu geringeren Deutungsspielräumen führt.

Das Buch betont die Bedeutung des subjektiven Körpergefühls, welches sich für Frauen im Laufe ihres Lebens erheblich wandelt. Dies trifft besonders nach schweren Erkrankungen oder operativen Eingriffen zu, welche mit Organverlusten verbunden sind. Hier ist eine längerfristige, behutsam unterstützte, leibliche Neufindung zur Lebensqualität wichtig.

Leidende Menschen schildern in ihren Worten verkürzt was sie plagt, während ExpertInnen dieses Befinden in ihrer Fachsprache als Symptome ordnen. Mehr als durch Worte wird durch begleitende Körpersprache mitgeteilt, welche von unseren Sinnen fast vollständig unbewusst registriert wird. Im Arzt-Patientenverhältnis kann jede/jeder nur „mit eigenen Sinnen“ wahrnehmen. Die Gesamtheit der ausgetauschten Botschaften, ihr Zusammenhang mit spezifischen Situationen und Arbeitsabläufen verdichtet sich zu Placebo- oder Nocebo-Effekten, die erheblichen Einfluss auf jede Therapie nehmen.

Für Ärzte ist die Bedeutung des haptischen Berührungsgefühls in manuellen Untersuchungen und bei operativen Eingriffen, welches sich nicht durch die technisch-funktionale Präzision von Operationsrobotern ersetzen lässt. Neben wissenschaftlichen Grundlagen und technischer Exzellenz bleiben Dialog und Interesse an Besonderheiten und Stärken von PatientInnen entscheidend. Die Mehrzahl der Leiden lässt sich erst dann zufriedenstellend behandeln, wenn die betroffenen Menschen befähigt werde an ihrer Genesung aktiv teilzunehmen.

Ist es empfehlenswert, angesichts der Fülle von notwendiger, fachbezogener Literatur, sich mit den faszinierenden Fragen der Sinneswahrnehmung auseinanderzusetzen? Die Antwort ist eindeutig. Dieses Buch ist geeignet unsere Vorstellung vom Organismus Mensch endgültig komplett auf den Kopf stellen.

Es lädt seine Leser zum Mitdenken für eine humane Heilkunde mit hoher Qualität ein. Dazu ist ihm eine breite Leserschaft zu wünschen.

H.-Peter Scheidel